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Verband Deutscher Antiquare e.V.

Collecting Private Press Books - John Dieter Brinks: Von der Bedeutung des Pressendrucks

George Bernard Shaw once said: "Nothing on earth is more precious than a really beautiful book, With well established columns, in full black type, With exquisitely incorporated illustrations. However, nowadays people prefer to read books instead of looking at them." At the Stuttgart Antiquarian Book Fair 2015 book collector and John Dieter Brinks hold a remarkable speech about the beauty of the book - with regard to the history of the early 20th century private presses. In his speech he followed the traces of the excellent book artists of the Kelmscott and Doves Press in England and the Ernst-Ludwig-Presse and Cranach Presse in Germany. Some of the most outstanding examples - copies from the Barbara Achilles Stiftung Hamburg - were shown in an exhibition and are now documented in a catalogue published by the German Antiquarian Booksellers' Association (VDA). Thank you very much to John Dieter Brinks and the VDA for giving permission to publish his speech on the ILAB website:
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George Bernard Shaw once said: "Nothing on earth is more precious than a really beautiful book, With well established columns, in full black type, With exquisitely incorporated illustrations. However, nowadays people prefer to read books instead of looking at them." At the Stuttgart Antiquarian Book Fair 2015 book collector and John Dieter Brinks hold a remarkable speech about the beauty of the book - with regard to the history of the early 20th century private presses. In his speech he followed the traces of the excellent book artists of the Kelmscott and Doves Press in England and the Ernst-Ludwig-Presse and Cranach Presse in Germany. Some of the most outstanding examples - copies from the Barbara Achilles Stiftung Hamburg - were shown in an exhibition and are now documented in a catalogue published by the German Antiquarian Booksellers' Association (VDA). Thank you very much to John Dieter Brinks and the VDA for giving permission to publish his speech on the ILAB website:

John Dieter Brinks: Von der Bedeutung des Pressendrucks


Am 24. Januar 2015 hielt John Dieter Brinks anlässlich der Vernissage zur Ausstellung »Die Pressen der Brüder Kleukens – Aus der Sammlung der Barbara Achilles - Stiftung« während der 54. Stuttgarter Antiquariatsmesse im Württembergischen Kunstverein einen bemerkenswerten Vortrag über die Bedeutung des Pressendrucks. Wir danken ihm an dieser Stelle herzlich für die Erlaubnis, den Beitrag an dieser Stelle zu veröffentlichen.

Kurz nach 1900, während jener einzigartigen Aufbruchsphase in die Moderne, faßte einer der damals herausragenden Schriftsteller Europas in zwei Sätzen zusammen, was ihn am Buch fessele:

Nothing on earth
Is more precious
Than a really beautiful book,
With well established columns, in full black type,
With exquisitely incorporated illustrations.
However, nowadays
People prefer to read books
Instead of looking at them.

Die Engländer wie die Iren, denn es handelt sich in unserem Fall um George Bernard Shaw, verstehen es meisterhaft, das Wahre mit dem Witzigen zu verbinden, genauer: eine Wahrheit in einem Bonmot zu verstecken. Denn bei aller Faszination durch den eigenen Witz will Shaw uns doch eine Wahrheit vermitteln: die Botschaft, daß ein Buch keineswegs seine Bedeutung darin erschöpfe, daß es Nutzen für unseren Verstand bereithalte, sondern daß es mit seiner Schönheit unser Auge bezaubern will und damit nicht selten auch unser Herz erreichen kann. Diese zweifache Bedeutung des Buchs, durch seine Nützlichkeit zu bereichern und durch seine Schönheit zu bestechen, hat damals niemand präziser formuliert als der führende „Designer“ jener Epoche, Henry van de Velde. Das Buch erscheine uns Menschen in unterschiedlicher Gestalt: einmal sei es unser pain quotidien culturel, unser täglich Brot, was die Kultur unseres Alltags betreffe. Zum anderen sei das Buch ein Denkmal das Geistes, un monument de la pensée. Ein Denkmal des Geistes, und zwar nicht nur, was den Inhalt, den Text eines Buchs anbelange, sondern auch, was seine „Schönheit“ betreffe, seine Form.

Wenn ich nun heute Abend einige Worte über die Bedeutung des modernen „Handpressendrucks“ sagen soll, wende ich mich vor allem an zwei Gruppen unter Ihnen. Einmal an all die, die in unseren Tagen zweifeln möchten an der Zukunft des Buchs – weil es seinen Nutzen immer weniger auf Papier, immer häufiger auf einem Bildschirm beweisen soll. Hier wage ich die These, daß das nützliche Buch, eben als pain quotidien, das seit Generationen etwa das Beratungszimmer des Arztes oder des Rechtsanwalts auf beruhigende Weise geschmückt hat, seine Funktion in dieser vertrauten Gestalt im Laufe des nächsten halben Jahrhunderts zugunsten des Abrufs von einen Bildschirm verlieren wird. Daß aber gerade das oft leicht belächelte beautiful book seinen Platz behaupten wird – als Sammelobjekt, als monument de la pensée, und somit eine ähnliche Verwandlung durchlaufen wird wie einst die Skulptur, die ursprünglich als Stütze Teil der Architektur war, ehe sie ohne Nutzen, aber voller Schönheit in den leeren Raum trat.

Doch ich wende mich auch an diejenigen unter Ihnen, die als altgediente Antiquare das Buch immer gerade seines Nutzens wegen geachtet haben – weil es uns die Wahrheiten und Weisheiten, bald die Wissenschaften vergangener Jahrhunderte übermittelt und allein deswegen kostbar ist. Was diese Freunde und Hüter des Buchs mitunter verkennen, ist die Bedeutung, die ein Buch seiner „Schönheit“ verdanken kann, einem für viele recht vagen und fast ein wenig fragwürdigen Kriterium. Was Shaw pries, a really beautiful book, ist noch heute oder wieder heute eine oft schräg beäugte Ausnahme. Denn es dient nicht einer Moral – nämlich durch ein Buch unser Wissen um das Wissen von Vergangenheit und Gegenwart in die Tiefe und die Breite zu bereichern –, sondern es dient der Ästhetik: nämlich dem Willen, mit einem Buch ein Kunstwerk zu schaffen. Und damit sind wir beim Pressendruck.

Nun soll ich ja nicht über die Herstellung des modernen Pressendrucks um 1900 sprechen, sondern über seine Bedeutung. Doch es ist in meinen Augen unerläßlich, zuerst einmal festzuhalten, daß ein Pressendruck vielfältige und außerordentliche handwerkliche Fähigkeiten voraussetzt: die des Papiermachers, die des Setzers von Wort, Zeile, Satzspiegel, die des Druckers, die des Buchbinders, ja bis fast zum Jahre 1900 die des doreurs, des Vergolders, der – ein Beispiel für die Vielfalt handwerklicher Nuancierung – etwa zwei Dutzend verschiedene Schattierungen des Golds für Initialen liefern konnte – ein helles Gold, das gleichsam die Sonne spiegelt, wie für die Initialen im Buch Ruth der Ernst-Ludwig-Presse, oder ein fast bronzenes Gold, wie es van de Velde für den Titel einer Ausgabe von Nietzsches Dionysos-Dithyramben wählte.

Wer sich die zahlreichen handwerklichen Vorgänge, die Satz und Druck auf einer Handpresse erfordern, vor Augen führen will, findet das Anschauungsmaterial in einer Sequenz von Photographien, die den Druck des Hamlet der Cranach Presse Schritt für Schritt verfolgen. Er wird auf jedem Photo die Hand sehen: die aushebt, einsetzt, justiert, ansetzt, einbaut, einschiebt, zurichtet, endlich: druckt. Und er wird begreifen, warum van de Velde noch vor dem Jahre 1900 die alte hohe Mauer zwischen artiste und artisan einreißen will, die Mauer zwischen Künstler und Handwerker. Nicht zuletzt die kleine Handpresse, die van de Velde bereits in jungen Jahren erworben hatte, lieferte ihm die Anschauung zu dieser damals umstürzenden Theorie.
So ist es die durch die Hand ausgeführte Arbeit, die als Ideal über der kurzfristigen Geschichte des modernen Pressendrucks steht. William Morris in England wollte seit den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts bewußt die Hand, die unmittelbar auf den Befehl eines Individuums agierte, „handelte“, der immer eigenständigeren Funktion einer Maschine entgegensetzen. Der Maschine, die bereits in den beiden Generationen seit der Industriellen Revolution fast jedes Feld der Gestaltung menschlichen Lebens zu erobern gewußt hatte. So entwarf und fertigte Morris, zugleich Prophet und Führer seines Feldzugs für die Ästhetik, Tapeten, Teppiche, Stoffe, Kleider… Vor allem aber druckte er Bücher eben mit der Hand auf seiner legendären Kelmscott Press – die ersten modernen Pressendrucke. Diese Handpresse orientierte sich in ihrem Arbeitsprozeß an dem Vorbild des mittelalterlichen Handwerks. Sie orientierte sich in ihrer Ästhetik an Morris’ Moderne, einer Typographie von eigener Hand, die den Rahmen für die Figuren eines Edward Burne-Jones oder seiner präraffaelitischen Brüder schuf. Entscheidend war: Morris vertrat, indem er fast aus dem Nichts eine Ästhetik schuf, nach eigenem Verständnis vor allem eine Moral. Die Moral einer noch vom Menschen geprägten Gesellschaft, gestützt auf Hand und Auge und Sinn eines Individuums – gegenüber einer maschinell organisierten Gesellschaft, wir würden heute sagen: einer digital vernetzten, die zusehends auf die Arbeit von Robotern vertraut.

Die nächste Generation der Pressendrucker, in England vertreten durch die Handpressendrucke der Doves Press, wählte ein anderes Vorbild als Morris: die Klarheit und die Schlankheit der Schriften der Renaissance. Sie konzentrierte sich auf den Buchstaben, das Wort, die Zeile, den Satzspiegel – und konnte angesichts einer bestechenden Eleganz auf die Pracht jeder Illustration verzichten.

Wir sehen: Der moderne Pressendruck um 1900 in England fußt in seinen beiden Spielarten bewußt auf den letzten Blütezeiten des Schönen Buchs, des schönen von Hand gestalteten Buchs im Mittelalter und in der Renaissance.

Und nun, kurz nach der Jahrhundertwende, setzte sich diese dritte Blütezeit des Pressendrucks fort, und zwar vor allem bei den Deutschen. Im Jahre 1907 entstehen fast gleichzeitig die Janus Presse in Leipzig, geprägt durch den Schriftkünstler Walter Tiemann und den Setzer Carl Poeschel, bewußt dem Beispiel der Doves Press folgend, und in Darmstadt, unter der Schirmherrschaft des Großherzogs, die nach ihm benannte Ernst-Ludwig-Presse, geprägt durch den Schriftkünstler Friedrich Wilhelm Kleukens und den Zeichner Christian Heinrich Kleukens. Beide Brüder finden zu einer eigenständigen Variante ihrer Moderne, des Jugendstils, die dessen bisherigen Formenkanon der gleitenden Leiber, wallenden Haare und flutenden Pflanzen hinter sich läßt. Im Jahre 1911 gründen dann zwei wohlhabende junge Bürger Bremens, Wiegand und Wolde, die Bremer Presse und 1913 gründet Harry Graf Kessler in Weimar seine Cranach Presse. Von diesen Gründungsjahren zieht sich ein breiter Bogen über zwei außerordentlich fruchtbare Dezennien bis in die frühen dreißiger Jahre.

Ich habe, das ist meine persönliche Wahl, als die drei führenden deutschen Pressen die Ernst-Ludwig-Presse, die Bremer Presse, die Cranach Presse genannt. Aber wir dürfen nicht vergessen, daß in diesem Zeitraum in einer erstaunlichen Vielfalt etwa zwei Dutzend deutscher Pressen ihre nicht selten herausragenden Werke präsentieren – womit die Deutschen zumindest gleichzogen mit den Engländern, bei denen ich in diesem Zeitraum allein die Ashendene Press als gleichwertig mit jenen drei deutschen Pressen ansehe.
Aber wo liegt nun die Bedeutung des Pressendrucks, der in diesen zwei Generationen vor und nach 1900 in England und Deutschland eine solche Blütezeit erlebte?

Um dies zu ermessen, müssen wir kurz ausholen. Wenn wir mit Shaw vom beautiful book sprechen wollen, wollen wir uns, treuherzig wie wir Deutschen sind, zuerst vergewissern: Was bedeutet ein Buch? In meinen Augen seit zwanzig Generationen und wohl noch für ein, zwei weitere Generationen mehr ein einmaliges „Ding“, um mit Rilke zu sprechen. Das Buch ist das einzige Ding auf der Welt, das Form und Inhalt, Körper und Geist, Leib und Seele ohne Naht miteinander vereint. Nothing on earth, nicht einmal Gemälde und Skulptur, tun es ihm darin gleich. Zudem ist es eine Inkarnation des europäischen Geistes, der im Gegensatz zum orientalischen oder asiatischen, die beide Sphären eher trennen wollen, den Gestaltungswillen besitzt, Körper und Geist zu einem Leib, Inhalt und Form zu einer Gestalt zu vereinen. Shaw hat also in meinen Augen Recht, wenn er das Buch, zumal das schöne Buch als ein einzigartiges „Ding“ auf dieser Welt bezeichnet.

Goethe – wer wollte ohne einen Gedanken von ihm auskommen? – erwog auf die Frage, was in allem Anfang war, als Antwort: das Wort. Eine großartige Vorgabe. Aber, unseren Pressendruck vor Augen, was bedeutet das? Das gedichtete Wort oder das gedruckte Wort?

Wohl zum ersten das gedichtete: nämlich das Wort einer Dichtung, die Harry Graf Kessler oder die Brüder Kleukens oder für die Bremer Presse die Dichter Hofmannsthal und Borchardt ausgewählt haben, um ihr das adäquate Kleid anzupassen: eben durch die exquisite und aufeinander abgestimmte Wahl von Papier, Schrift, Satz, Einband, mitunter Illustration. Entsprechen sie alle, und dies als Ensemble, dem Geist des Textes, so ist das Buch, der Pressendruck, schön, beautiful. Um aber nicht ins Schwärmen zu geraten: Wählte der Ästhet, der ein Buch auf seiner Presse drucken will, eine schöne, aber vergleichsweise schwere Fraktur, wie sie etwa Anna Simons für die Bremer Presse geschnitten hat, um mit ihr, sagen wir, eines der frühen Gedichte von Hofmannsthal, etwa das schwebende Es läuft der Frühlingswind durch die Alleen zu drucken, dann wäre das Ergebnis, ungeachtet der eigenen Schönheit der Schrift und der eigenen Schönheit des Gedichts, ein häßliches. Inhalt und Form klafften auseinander, widersprächen einander.

Aber für meinen Blick ist diese individuelle Abstimmung dank Hand und Auge und Geist nicht alles, was die Bedeutung des Pressendrucks ausmacht. Daß der Inhalt die Form dominiere, diese von allen Theoretikern der Buchkunst von Rodenberg über Schauer bis Eyssen brav wiederholte Weisheit spiegelt nur eine Seite der Medaille.

Ein Beispiel. Im Jahre 1912 schreibt der Verleger des Insel Verlags, Anton Kippenberg, an den Pressendrucker Kleukens: Er, Kippenberg, stelle sich vor, daß Goethes Marienbader Elegie sich mit den vielen Strophen und ihren langen Zeilen vorzüglich für einen Pressendruck eignen würde. So wolle er seinem lieben Kleukens einmal den Text schicken…

Das bedeutet: Nicht der Inhalt, der Text, das einzigartige Gedicht von Goethe, liefert dem Goethefreund Kippenberg den inspirierenden Anlaß für einen Pressendruck, sondern die das Auge einladende Form des Gedichts. Die gängige Moral kann also trügen. Und auch, wenn unser Beispiel eine Ausnahme bleibt, bleibt es eine bezeichnende, eine bedeutende. Keineswegs inspiriert immer der Inhalt eines Textes die Form – nicht selten ist es die Form des Textes, die den Inhalt dominiert. Die Ästhetik entscheidet bei der Auswahl einer Dichtung.

Kippenberg hatte nämlich ein Bild vor Augen, nicht einen Gedanken im Kopf. Ihn trieb nicht der Gedanke: Dieser einzigartige, kostbare Text Goethes habe einen Pressendruck verdient! Sondern ihn begeisterte die Vorstellung, diese von Goethe in eine bestimmte Form gegossene Dichtung liefere die herrliche Vorlage für die Gestaltung eines bestechenden Pressendrucks, der dem Drucker zur Ehre und ihm als Verleger zum Gewinn gereichen werde. Kurz, die Moral des Inhalts unterlag in diesem Fall der Moral der Ästhetik.

Auch hierin erschöpft sich nicht die Bedeutung des Pressendrucks. Vielmehr eröffnet sich für meinen Blick eine weitere Perspektive: Die Ästhetik genügt nicht sich selbst, sondern fördert den Inhalt, fordert ihm eine Steigerung ab, verspricht dank des Pressendrucks einen Gewinn für die deutsche Literatur.

Wiederum ein Beispiel. Als Harry Graf Kessler über ein Jahrzehnt lang sein Projekt verfolgte, ein Pressendruck von Shakespeares Hamlet zu veranstalten, führte ihn das nicht allein dazu, in seiner eigenen Papierfabrik ein unvergleichliches Bütten herzustellen und von Edward Johnston eine eigene Hamlet-Fraktur schneiden zu lassen. Kessler wollte auch, daß der Text einzigartig sei, somit der Inhalt des Pressendrucks. Und dies durch zwei Schritte, einen künstlerischen und einen wissenschaftlichen: Bei dem Dichter Gerhart Hauptmann gab er eine neue Übersetzung des Hamlet in Auftrag, von dem führenden englischen Literaturwissenschaftler J. Dover Wilson ließ er eine kritische Textversion des Second Quarto erstellen. Ebenso betraute die Bremer Presse, als sie eine fünfbändige Ausgabe der Bibel drucken wollte, einen führenden Wissenschaftler, Carl von Kraus, damit, den Luthertext zu emendieren. Auch dies blieben Ausnahmen. Aber sind Ausnahmen nicht oft das eigentlich Belebende und Bedeutende? Jedenfalls dürfen feststellen: Der Pressendruck forderte nicht nur „Schönheit“, sondern immer wieder auch, ergänzend und unterfütternd, Wissenschaftlichkeit, „Wahrheit“.

Ein letzter Gedankengang. Diese Möglichkeit, daß die Form den Inhalt dominiere, mag ein bezeichnendes Phänomen darstellen, stellt aber für Buchhändler oder Bücherfreund zuerst einmal, seien wir ehrlich, ein befremdendes dar. Warum? Ich denke, aus zwei Gründen, einem psychologischen und einem historischen.

Die Psychologie des Mitteleuropäers, vor allem des Deutschen, verleitet ihn eindeutig dazu, dem Inhalt vor der Form den Primat zu verleihen. Bei Zeus, hat ein in unseren Tagen hochgelobter Schriftsteller, dessen Name mir zum Glück entfallen ist, gerufen, es sei ihm doch völlig gleichgültig, in welcher Form, auf welchem Papier oder in welcher Schrift er ein Gedicht Goethes lese – der Text, der Inhalt sei alles, und wenn auch nur ein Reclam-Bändchen den Rahmen abgäbe! Und, bei Zeus, mögen nicht wenige unter den anwesenden Antiquaren denken, wie bedeutend, weil bereichert und bereichernd, fühle ich mich mit meiner Erstausgabe einer Dichtung Goethes! Was soll mir denn der elfte oder der zwölfte Pressendruck dieses doch „an sich“ kostbaren Textes! Mag dieser Pressendruck auch seinen unverdient hohen Preis erzielen, der Wert meiner Ausgabe ist doch der höhere, der allein bedeutende, der eigentlich ernstzunehmende…

Wer so denkt und fühlt, hält die Kategorie der Form und deren bestechendste Ausprägung, die Schönheit, für etwas im genauen Sinne des Wortes „oberflächliches“. Und damit das beautiful book und dessen schönste Blüte, den Pressendruck. Ein solcher Denkansatz entspricht, wie bereits angedeutet, gerade der Mentalität des Deutschen, der eine Sache immer gerne „an sich“ – also gerne moralisch und nur zögernd ästhetisch – auffaßt. Der mediterrane Mensch faßt ein „Ding“ völlig anders auf. Er läßt sich gerne hinreißen durch die Form, d. h. die glücklich gestaltete Oberfläche, d.h. die Schönheit eines Dings, das ihm allein durch seine Schönheit etwas „bedeutet“.

Ein zweiter Aspekt: der historische. Ich vertrete die These, daß die Generation der Kessler und der van de Velde, der Wiegand und der Kleukens, ja die der Hofmannsthals und der Rilkes – beide Dichter nahmen intensiven Anteil an der Gestaltung ihrer Werke –, daß diese Generation, die um 1900 den Frühling einer Moderne zu spüren glaubte, ohne zu ahnen, daß der Winter eines Weltkriegs und damit der ihnen vertrauten Kultur bevorstand, – ich glaube, daß diese Generation die letzte gewesen ist, die noch „Schönheit“ als einen Leitbegriff, als ein Ideal empfand. Henry van de Velde, unter den Künstlern und Kunsthandwerkern jener zwei Jahrzehnte wie erwähnt ein Führer in die Moderne, bekannte ausdrücklich gegenüber Kessler, es sei letztlich die Schönheit, die sein Werk bestimme. Somit bekräftigte er Shaws Apotheose des beautiful book und dessen großartigster Ausprägung, des Pressendrucks.

Führen wir uns vor Augen, daß diese Vorstellung, die „Schönheit“ sei das Ideal, die Impressionisten der vorangegangenen Generation wohl nicht verwundert hätte, sicherlich aber die Expressionisten der folgenden Generation. Verfocht diese Gruppe für ihre Weltsicht den Primat des Ausdrucks, so verfocht seit Kriegsende eine andere Bewegung das Ideal der Nützlichkeit, milder: der Sachlichkeit. Niemand hat das damals klarer formuliert als ein führender Schriftkünstler, Jan Tschichold, der sich eindeutig zu der Formel bekannte, sein Ideal jedenfalls sei die Sachlichkeit und keinesfalls die Schönheit. Und somit gehorchte seit den zwanziger Jahren nicht nur ein Stuhl oder ein Tisch, sondern auch ein Buchstabe oder ein Buch, gestaltet etwa von einem Künstler des Bauhauses, einem anderen Gesetz als ein Pressendruck. Kein Wunder, daß in einem seit dem ersten Krieg auf Sachlichkeit ausgerichteten Jahrhundert – auf eine Sachlichkeit, welche nicht zuletzt die Maschine forderte und die jetzt Künstler für die Maschine forderten –, daß mit dem Ende der zwanziger Jahre der Pressendruck an Bedeutung verlor.

Wer die Schönheit angeschaut mit Augen, ist dem Tode schon anheimgegeben. So beginnt eines der schönsten Sonette August von Platens, ein Gedicht, das Henry van de Velde sich auf jeder seiner Reisen über das Bett heftete. Der Vers bezeichnet das Ideal und das Schicksal des Pressendrucks, der auf seinem schmalen Feld wohl ein letztes Mal in der abendländischen Kulturgeschichte Schönheit als höchstes Maß der Kunst und damit des Lebens feierte. Hierin liegt für mein Verständnis die wichtige, ja – wenn wir Shaws Freude an der Übertreibung teilen dürfen – einzigartige Bedeutung des Pressendrucks: nicht nur für die Geschichte des Buchs, sondern für die Geschichte unserer Kultur.


Catalogue:

Die Pressen der Brüder Kleukens. Aus der Sammlung der Barbara Achilles-Stiftung Hamburg.


Mit einem bio-bibliographischen Abriss der Pressen und ihrer Protagonisten von Theo Neteler. Katalogteil von Christian Hesse, Fotografien von Grit Hesse. Verband Deutscher Antiquare e.V., 2015. 84 Seiten mit zahlreichen Farbabbildungen. Englische Broschur.

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